Damals… also jetzt wieder
ganz damals…
Meine Freundin Theresia aus der medizinischen
Fachschule und ich sind gerne nach Berlin getrampt. Einfach nur so, für ein
Wochenende. Sehen, was die Großstadt und wohin es uns so treibt. Für diese Zwecke gaben wir
uns dann gegenseitig ein Alibi. Schließlich waren wir mit unseren siebzehn Jahren noch minderjährig und diese Wochenendbeschäftigung nicht unbedingt etwas, das Eltern für gewöhnlich tolerieren. Also Theresia
war dann in der offiziellen Version am Wochenende wahlweise bei mir in Rostock
und ich bei ihr in Wismar oder wir blieben ganz einfach im Internat.
Aus irgendeinem Grund waren
wir an diesem Freitag tatsächlich bei Theresia in Wismar und machten uns am
Samstag auf den Weg nach Berlin.
Falls sich jemand erinnert,
die Transitstrecke aus dem Westen war genau das, was man benutzen musste, um von Wismar nach Berlin zu kommen.
Wir kamen relativ gut weg
aus Wismar und dann passierte, was nun wirklich nicht passieren sollte: wir
wurden an einer Raststätte mitten auf der Transitstrecke rausgesetzt, weil
unsere Mitfahrgelegenheit die nächste Abfahrt runter musste. Mistkacka!
Hier wieder weg zu kommen
bedeutete notwendiges Glück.
Na und? Der Tag war sonnig
und warm, wir hatten keine Lust uns gleich wieder an die Straße zu stellen und
den Daumen raus zu halten, also saßen wir eine Weile am Rand des Parkplatzes und
sahen dem Kommen und Gehen zu.
Es dauerte aber nicht lange,
da steuerte ein grün-weißer Wartburg auf uns zu. Aus stiegen zwei uniformierte grüne Männchen. Abermals Mistkacka!
„Guten Tag,
Personenkontrolle. Bitte, Ihre Ausweise!“
(Anmerkung: In der DDR
wurden Personen ab dem 14. Lebensjahr gesiezt, selbst in der Schule. Bescheuerte Macke des Ostens!)
Wir zogen unsere
Personalausweise, wurden nach unserem Ziel, der Art und Weise dieses zu
erreichen befragt, sogen uns Name, Verwandtschaftsgrad und Adresse aus den Fingern und ließen eine umfangreiche Belehrung über uns ergehen,die mit den Worten schloss: „Aber nicht, dass
Sie hier mit irgendwelchen Westwagen mitfahren! Das ist verboten!“
Und sie wussten genau: Auf
dieser Autobahn fuhren fast nur Transitreisende, eben jene "Westwagen".
Alsbald darauf
standen wir wieder am Straßenrand und das gestreifte Auto verließ die Raststätte. Wie vermutet,
warteten wir eine ganze Weile, dann hielt endlich ein Auto, ein westdeutscher
Mercedes mit dreifach indischer Besatzung.
Einsteigen oder nicht? Das
war jetzt die Frage. Wir sahen uns suchend um, entschieden uns für ersteres und nahmen Platz im edlen
Gefährt.
Die Inder waren sehr
mitteilungsbedürftig und beklagten sich zuerst einmal über das Tempolimit auf
der ostdeutschen Autobahn. Als wir allerdings unsere Story über unsere Begegnung
auf der Raststätte zum Besten gaben, irritierte das den Fahrer dermaßen, dass
er nur noch mit 80 km/h über die Straße kroch.
Einige Kilometer weiter
erblickte er ein kleines grün-weißes Auto im Rückspiegel, aus dem mit
einer Kelle das Anhalten gefordert wurde. Klar, wir blond und brünett sahen
wirklich sehr indisch aus und fielen bestimmt nicht auf zwischen den netten
Herren mit Turban. Wir rutschten fast unter den Sitz.
Auf dem Standstreifen bröckelten wir einer nach dem anderen aus dem Auto.
Jede
Wette, die hatten, von ihren netten Kollegen
informiert, bereits auf uns gewartet, .
Über eine Stunde hockten wir
im Straßengraben. Ohne Ausweise.
Wenn das Papi wüsste!
Die Inder hatten üble…
üblere… übelste Laune und sahen uns nicht einmal mehr an. Sicherlich wurden sie
mit einem saftigen Bußgeld belegt.
Dann kam die Ansage von einem
der kleinen grünen Männchen an uns: „Und SIE verlassen jetzt sofort die
Autobahn!“
Hä??? Hatte der Typ
Kartoffeln, die direkt vor uns auf dem Feld wuchsen inzwischen auch auf den
Augen? Autobahn verlassen? Wie denn?
„Na zu Fuß!“
Tja… schöne Reise! Zu Fuß
über einen Kartoffelacker. So hatten wir uns das vorgestellt.
Als wir endlich die nächste
Straße erreichten, hatten wir nicht mal den Hauch einer Ahnung, wo wir uns
befanden. Autos? Fuhr hier überhaupt jemand? Und falls ja? Welche Richtung? Wir
standen vorsichtshalber dann mal auf beiden Seiten der Straße verteilt.
Endlich ein Auto in Sicht, besetzt mit einem Mann, der aussah als wäre er der, vor dem Mütter ihre Töchter immer
warnten: tätowiert bis unter die Halskrause, Zigarette dampfend im Mundwinkel und grimmigster Blick. Das hatte damals definitiv weniger mit
Mode zu tun, sondern war ein sicheres Zeichen für einen Knastaufenthalt. Und er
war quasi stumm. Nicht sprechen wirkt in dieser Kombination auch nicht gerade vertrauenerweckend,
stellte ich fest. Wir wählten den nächsten Bahnhof an dem wir vorbei
kommen würden als Ziel und hopsten fröhlich und wider Erwarten in einem Stück aus dem Auto. Von der Tramperei hatten wir für heute genug.
Die Zugfahrt dauerte ewig
und riss ein anständiges Loch in unsere bescheidene Reisekasse.
Berlin
erreichten wir in der Dunkelheit und die eigentliche Arbeit lag ja noch vor uns: das Organisieren eines kostenlosen Bettes für die Nacht.
Aber auch das würde uns
gelingen. Wie immer.