Donnerstag, 30. Oktober 2014

Ich bin eine Dame

Wir haben die Schule gewechselt. Jetzt ist alles gut und heimelig. Auf dieser Schule sind auch körperlich und geistig behinderte Kinder. Ist inzwischen so normal für mich, dass es sich eher komisch anfühlt, das extra zu erwähnen.

Manchmal, nur ganz manchmal noch fahre ich mein Murmelkind mit dem Auto zur Schule und hole sie wieder ab. Heute ist es so. Mein Murmelkind springt ins Auto und wir fahren drei Meter. Als vorsichtige Mama auf einem äußerst belebten Schulgelände und dessen Drumherum, halte ich artig an einem Zebrastreifen, vor dem -ebenfalls artig- ein Haufen Kinder mit und ohne Rollstuhl nebst erwachsener Betreuungspersonen steht, um offensichtlich irgendwann einmal die Straße zu überqueren. Ich warte eine ganze Weile. Sieht mir ein bisschen nach dem Spiel "Wer sich zuerst  bewegt, verliert" aus. Aber ich riskiere hier mal lieber nix. 

Endlich kommt Bewegung in die Gruppe. Sie starten. Ein Mädchen, etwa elf oder zwölf Jahre alt, zeigt mir mit Nachdruck einen Vogel.
Ähm ... wie jetzt? Ich warte doch!
Sofort meldet sich mein schlechtes Gewissen. Ich blättere im Hirn eine Liste aller meiner Vergehen durch, finde nichts passendes und komme zu dem Schluss, dass es nicht an mir liegt und doch möglicherweise sie nicht ganz auf geistiger Höhe ist. Das erklärt hier ja mitunter vieles.

Doch ... stopp! Die Rechnung durchkreuzt jetzt eine der Betreuerinnen, die sich das Mädel schnappt und am Arm vor mein Auto schiebt. Während sie ziemlich böse auf sie einredet, lasse ich das Fenster herunter fahren. Ich kann gerade noch hören: "... und jetzt kannst du sagen, was wir von dir erwarten!"
"Ntschldigng." presst das Mädchen kleinlaut hervor. Ihr ist die Nummer sichtlich peinlich. 
Mir irgendwie auch. Für mehr als ein "Okaaaaayyy ..." reicht mein sich ihr anpassender Wortschatz in diesem Moment nicht.
"Da kannst du aber froh sein, dass die Dame deine Entschuldigung annimmt!" poltert die Frau weiter und starrt dem Mädchen immer noch böse ins Gesicht, welches wiederum mich anstarrt. Um dieses Imkreisgestarre zu unterbrechen, sage ich jetzt laut und vernehmlich: "Danke!" und fahre langsam weiter. Wow! Hier sind also Erzieher wirklich noch Erzieher. Obwohl ... ein wenig Mitleid habe ich dennoch.

Hinten im Auto grinst die Murmel breit: "Was hat die Frau zu dir gesagt? Was bist du?"
Stolz schwelle ich die Brust und sage: "Ich bin eine DAME!"
Jetzt prustet sie los und rollt sich vor Lachen fast von der Rückbank. "Du bist ... du bist ... eine ... eine Dame???" fragt sie japsend. "Duhu???"

Muss ich jetzt eigentlich beleidigt sein?


Foto: Ichnicht  (hat sich überreden lassen und seinen Vertrag auf Probe verlängert)

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