Montag, 24. Oktober 2016

Wenn das Leben mal kurz ein Arschloch ist ... Teil 1

Gerade noch war meine größte Sorge, wie ich an Unterwäsche komme, weil sich einer unserer Koffer plötzlich ein eigenes Urlaubsziel suchte. Nachdem das Problem endlich gelöst, taucht dieser natürlich wieder bei uns auf, als wär nichts gewesen und ich liege nach tagelangen und überwiegend vergeblichen Shoppingversuchen dann doch noch im neuen Bikini urlaubsreif am Pool. Ein traumhafter Ort im Nordwesten von Korsika. Calvi.






Ich mache gerade ein Foto von meiner Kekstüte ... Weib, Wein und Gesang ... ich muss schmunzeln. Da muckst sich mein Telefon. Eine Nachricht sagt, ich möge mich so schnell wie möglich auf Mallorca melden, es gäbe gesundheitliche Probleme mit meiner Schwester. Ich schnelle auf und versuche die angegebene Nummer zu erreichen. Als ich keinen erreiche, rufe ich meine kleine Schwester an. Sie geht ran. Aber ich höre sie nur wispern: "Kann nicht ... kann nicht sprechen ..." Eine Stimme aus dem Hintergrund: "Ich rufe gleich zurück!" Jetzt habe ich Angst. 

Ein paar Minuten später klingelt das Telefon und ein Mann meldet sich. Ich solle jetzt genau zuhören. Meine Schwester läge im Krankenhaus, hätte einen gutartigen und operablen Hirntumor. Allerdings hätte sie Symptome, wie bei einem Schlaganfall. Aber alles werde wieder gut. 

Ich höre mein eigenes Blut rauschen und fühle den Boden unter meinen Füßen nicht mehr. Meine Stimme fragt, wo sie jetzt ist und wie es dazu kam. Die Antworten kommen wie aus einer Blechbüchse bei mir an und bleiben direkt vor meinem Ohr stehen. Unsere Eltern sollten erstmal nicht informiert werden, so die Idee. Ja, gute Idee. Es geht um einen Rücktransport nach Deutschland, irgendwelche Professoren, die einen Tumor in der Größe noch nie sahen und darum, dass die Klinik in Köln schon informiert sei und eine OP, die so schnell wie möglich stattfinden soll ... 

Ich muss hier weg. 
Lasse Kekse und Familienreste am Pool zurück und versuche die Strecke zur Dusche in unserem Apartment  zurückzulegen, ohne von meinem Kreislauf auf die Bretter geschickt zu werden. Ich dusche eine halbe Stunde kalt, trinke literweise Wasser und hoffe, dass sich diese Blase des Schocks in der ich mich befinde endlich wieder auflöst. Meine kleine Schwester! Sie kann nicht sprechen! Ich will meine kleine Schwester zurück! Was mach ich jetzt? Nach Hause fliegen? Die Kinder können nicht mit in Krankenhäuser ... was mache ich mit den Kindern? Ich könnte nach Hause fliegen. Und dann ... ?

Ich starte einen Kommunikationsversuch per WhatsApp mit ihr und frage, ob sie schreiben kann. Die Antwort ist "Shwrtz". Und in einem neuen Versuch: "Scjwo". Ich weiß, sie meint "schwer".

Sie ist zu jung für diese Scheiße! Meine kleine Schwester ist fast sechs Jahre jünger als ich. In Zahlen noch nicht einmal vierzig. Wir müssen nicht jeden Tag zusammen sein. Aber wir kommunizieren fast täglich. Sie ist meine Person und ich ihre. Heute ist Donnerstag. Und seit Dienstag finde ich diese Kommunikation seltsam. Seltsam einsilbig. Warum habe ich das nicht gleich direkt bei ihr hinterfragt? Ich dachte, sie sei im Urlaubshigh und hätte einfach viel um die Ohren ... so positiven Stress eben. Das kann sie nämlich sehr gut. Und dann das ... 

Fotos: Ichnicht