Dienstag, 28. Oktober 2014

Aus Versehen im Schornstein


Mein Name ist Stanislaus. Ich bin ein Stubenkater … ein stattlicher Kater, der noch nie die Wohnung verlassen hat. Es ist ein ganz normaler Montag. Naja, nicht ganz normal. Ich habe DIE Gelegenheit, gebe meiner Neugier nach und nutze ein offenes Dachfenster zum Ausstieg aus meinem Stubenalltag. Es ist so schön sonnig … und es riecht so gut hier draußen. Stolz schreite ich mein neues Terrain ab. Aber so ein Dach ist auch irgendwie nur begrenzt benutzbar. Die Vögel sind immer schneller als ich. Da vorne guckt so ein komisches Ding aus dem Dach heraus. Vielleicht ein Weg nach unten? Ich springe mutig in einen dunklen Tunnel und … OH NEIN! Ich stecke fest!
Komme weder rauf noch runter. Meine Stattlichkeit … in Zahlen zwölf Kilo … stehen mir jetzt mal voll im Wege. Und nun?
„Miau!!!“
Niemand kommt.

Zwei Tage vergehen. Es läuft jemand über das Dach. Aber er kann mich nicht sehen. Es wird wieder Abend. Die Stadt ist ruhiger. „Miau!!!“
Ich höre Kinder draußen nach mir suchen. Aber sie sind zu weit weg. Sie hören mich nicht mehr. „Miau!!!“ Inzwischen habe ich alle Anstrengungen aufgegeben, aus diesem unsäglich engen Tunnel zu kommen, in dem ich kopfüber feststecke. Ich habe Durst, entsetzlichen Durst. Meine Zunge ist ganz dick und klebrig.

Inzwischen ist Donnerstagabend. „MIAU!!!“
Da! Sie hören mich! Die Bewohnerin des Dachgeschosses vermutet mich im Schornstein. So also heißt dieser beknackte schwarze stinkende Tunnel. Und sie ruft mein Frauchen an. Die ist sofort zur Stelle. Gemeinsam rätseln sie, auf welcher Höhe ich stecke. Frauchen ruft kurzerhand die Feuerwehr. Rettung naht also. Ich kann auch wirklich nicht mehr. Vier Tage hier und sechs von sieben Katzenleben sind futsch.

Ein Löschfahrzeug … nein, zwei halten vor der Tür. Die wollen es aber wissen. Zwanzig Mann stürzen durchs Haus … durch alle drei Etagen … aufs Dach und wieder zurück. Keine Ahnung, was sie vorhaben. Sie leuchten von unten in den Schacht … direkt in meine Augen. Wenigsten haben sie sich davon überzeugen können, dass ich wirklich hier drin feststecke. Jetzt klingeln sie an der Tür der mittleren Wohnung und wollen ein Loch in die Wand im Wohnzimmer hauen. Wieso denn ausgerechnet da? Ich bin doch hier! Die andere Wand! Die im Esszimmer! Hier oben! „MIAU!“ 

Sie rechnen die Entfernung in Schritten aus und korrigieren sich. Na prima. Jetzt stimmt wenigstens die Wand. Eine Wärmebildkamera kommt zum Einsatz. Warum benutzen sie keine Leiter? Die Polizei kommt auch noch und ordnet an, dass ein Loch in die Wand gehauen werden MUSS, weil sonst „Gefahr im Verzug“ ist. Wirbeltiere MÜSSEN gerettet werden. Ich kann also hoffen.

Gleichzeitig arbeiten Feuerwehrleute oben auf dem Dach. Sie lassen Ketten auf mich fallen. Und jetzt arbeiten sie auch noch mit Kugeln und  Eisenstangen! Was zum Henker haben sie vor? 

Ich verliere das Bewusstsein. Meine Katzenseele verlässt wenig später meinen Körper. Siebtes Leben futsch.

*

Auf die Frage: „Schatz, wie war dein Tag?“ könnte die Nachbarin über uns heute vielleicht wie folgt geantwortet haben:

„Ach weißt du … nichts Besonderes. Ein ganz normaler erster Tag nach zwei Wochen Urlaub. Heute war nur der Schornsteinfeger da und hat ein riesiges Loch in unsere Küchenwand gehauen, denn hinter der Wand liegt der Schornstein, in den vor drei Wochen die getürmte Katze aus dem Nachbarhaus geplumpst ist. Blöderweise ist sie auf einem Mauervorsprung innerhalb des Schornsteins stecken geblieben.

Es gab einen ziemlich unkoordinierten Einsatz der Feuerwehr zur Rettung. Der komplette Löschzug resignierte allerdings, nachdem die Männer in der Wohnung unter uns ein Loch in die Wand geschlagen hatten,  die Katze aber nicht mehr sehen konnten und zog wieder ab. Auf die Idee im Internet nach dem zuständigen Schornsteinfeger zu suchen, kam keiner dieser Leute. Der hätte auf jeden Fall das nötige Equipment gehabt, um die Katze zu orten. Dann hätten sie wahrscheinlich nicht wahllos ein Loch in die Wand unserer Nachbarn gehauen. Zwei Meter unter der Katze.

Der Schornsteinfeger hat  am nächsten Tag versucht die Katze herauszuholen. In seinen Messungen war er schon mal um einiges exakter als die Feuerwehr. Nur leider hat das nicht funktioniert, da der Vorsprung direkt zwischen unserer Wohnung und der Wohnung unter uns ist. Sieh es mal positiv: Unsere Nachbarn haben jetzt zwei Löcher in der Wand, wir nur eines.
Jedenfalls … die arme Katze ist jetzt draußen. Leider viel zu spät.“

Eins ist sicher: Schatz muss sich setzen.

Ichnicht  steht in Hut und Mantel mit seiner Kündigung an der Tür. Er findet es hier inzwischen grausamer als bei den Gebrüdern Grimm und ist nicht annähernd gewillt, ein Foto für diesen Post rauszurücken.

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