Teil 1 gibt´s hier.
Es
ist bereits Abend, als die Igelfrau endlich mal ans Telefon geht. Sie ist
bereits von der Dame vom Igelnotdienst informiert. Sie fragt sofort, ob der
Igel im Stadtpark von einem Hund aus dem Winterschlaf geholt wurde, denn das
würden die meisten Igel aus dem Stadtpark, die bei ihr landen. Bis vorhin
dachte ich eigentlich, der Igel wäre nicht verletzt. Aber die kleine Blutspur auf
dem Küchenpapier spricht eine andere Sprache. Ich sage, dass ich mir nicht
sicher bin, weil da ein bisschen Blut ist.
„Dann
kommen Sie mal her mit dem Igel.“
Bis
eben hatten wir noch Hunger. Aber einstimmiger Beschluss: Jetzt fahren wir doch lieber vor dem Essen mit dem
kleinen Patienten um die Häuser.
Karton samt Igel geschnappt und los.
„Der
Igel fährt bei Flummi auf dem Schoß mit.“ ordne ich an und freue mich heimlich,
dass es ausnahmsweise mal keine Diskussion bezüglich meiner Entscheidung gibt.
Mein
Sohn hält den Karton vorsichtig umklammert und bittet darum, dass ich das
Autoradio leiser stelle.
„Meinst
du, dem Igel ist das zu laut?“ frage ich ihn.
„Nein.
Aber mir!“
Also
doch dem Igel, denke ich und drehe das Radio leise.
Es
ist schon fast zwanzig Uhr, als wir bei der Igelfrau ankommen.
Oh! Eine Plattenbausiedlung!
Die lässt nicht unbedingt das vermuten, was wir suchen
… aber finden.
Wir klingeln und die Igelfrau öffnet uns die Tür einen Spalt
weit, durch den wir gerade so in die Wohnung schlüpfen können. Mehr Platz ist
nicht.
Hätte
die Dame vom Igelnotdienst mich nicht vorgewarnt, hätten mich die Zustände Gegebenheiten in dieser Wohnung wahrscheinlich lang
hinschlagen lassen. Obwohl … das wäre aus Platzmangel gar nicht gegangen.
Überall Kartons, in denen Pflege-Igel oder Papierstapel wohnen. Hinter den
Igel-Kartons stehen Schränke und Regale auf deren freien Flächen Miniatur-Igel
in allen Farben, Formen und Größen Platz finden. Dazwischen Wollmäuse aus
Staub. An den Wänden Igel-Kalender und Igel-Bilder.
„Puh,
Mama! Das stinkt hier aber …“ raunt mir meine Murmel ins Ohr. Ich nicke nur und
flüstere: „Das sind hoffentlich nur die Igel.“
Die
Igelfrau ist etwa Mitte sechzig, ziemlich rundlich und hat blondierte Haare, in
denen vor kurzem noch Lockenwickler gesteckt haben müssen. Witzigerweise sind die Haare kompakt zu einer Seite frisiert und
stehen in Wellen vom Kopf ab. Mich erinnern sie stark an die Frisur einer Playmobilfigur und ich bin
versucht, ihren Helm aus Haupthaar korrigierend um neunzig Grad zu drehen, kann mich aber
gerade noch bremsen.
Nachdem
die Igelfrau sicher ist, dass wir kurz vorher miteinander telefoniert haben und
es sich um den Igel handelt, den sie erwartet, nimmt sie meinem Flummi den
Karton ab, und fordert uns auf, ihr ins Badezimmer zu folgen.
Das ist einfach.
Mit einer halben
Drehung um die eigene Achse tun wir ihr den Gefallen und stehen jetzt in Reihe
in einen Türrahmen gequetscht. Wir sehen zu, wie sie auf dem Klodeckel Platz
nimmt, ein Kissen auf ihrem Schoß platziert, ein Stück Küchenpapier darauf legt
und sich unseren Igel mit geübter lederbeschuhter Hand zur Brust nimmt.
„Igel
stehen unter Naturschutz. Vor Mitte Mai können wir sie nicht wieder aussetzen.
Vorher würden sie verhungern, weil sie da noch gar kein Futter finden. Es
gibt eine Regel: Acht Tage, acht Grad … auch nachts, dann kann der Igel
ausgewildert werden. Wusstet ihr, dass die Igel schon zu Zeiten der Dinosaurier
gelebt haben?“ Fragt sie die Kinder, während sie mit einer Pinzette über den
unteren Rücken des zusammengerollten Igels streicht und ihn so dazu bringt,
sich wieder zu strecken. Jetzt ist zu sehen, dass unser Igel eine Igeline ist. Ihr Bauch nässt und die linke Pfote blutet etwas.
Die
Igeline hat Bakterien auf der Haut und ist wahrscheinlich wach geworden, weil
sie Schmerzen hat. Und als wäre das nicht genug, turnen überall Flöhe
und Milben auf ihr herum. Wir lernen, dass diese aber allenfalls auf Hunde oder Katzen
übergehen und keine Lust auf menschliches Blut haben. Ich kann also wieder aufhören, mich überall zu kratzen.
Ein
flinker Griff in das Regal über der Igelfrau, das vor lauter Medikamenten und
irgendwelchen Texturen aus allen Nähten platzt, fördert ein Insektizid in Puderform zu
Tage, welches fix als Streifen auf dem Rücken der Igeline landet. Es vergeht
keine halbe Minute und die Flöhe kippen völlig benebelt aus den Stacheln. Mit
ihrer bereits zum Einsatz gekommenen Pinzette, sammelt sie die bekifften Tiere
ein und versenkt sie in einem kleinen mit Alkohol gefüllten Glas. „Die Flöhe
werden gesammelt und gehen nach Karlsruhe an Studenten. Es gibt ja heutzutage
keine Flöhe mehr.“ werden wir informiert.
Aha.
Neben
uns im Türrahmen klebt ein Badeplan für verschiedene Igel. Da wird wohl in
Kürze auch unsere Igeline stehen. Medizinische Bäder im Kampf gegen ihre
Infektion am Bauch. Entwurmt soll sie auch werden. Wenn die stachelige Dame
dann wieder gesund ist … die Igelfrau blickt mich fragend an …
„Ja.“
sage ich. „Dann können wir die Igeline gerne wieder abholen und sie verbringt die
restlichen Wochen bei uns.“ Die Igelfrau ist froh -immerhin ein Karton weniger-
und meine Kinder glücklich.
In
den Kartons um uns herum werden langsam die Igel mobil, wie wir hören dürfen. Und das
Telefon klingelt jetzt pausenlos. Die Igelfrau wird bis morgen früh um acht mit
ihren stacheligen Untermietern zu tun haben, bevor sie selbst erschöpft ins
Bett sinkt.
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