Montag, 16. März 2015

Igeline - Teil 2 oder So lebt eine Igelfrau

Teil 1 gibt´s hier.

Es ist bereits Abend, als die Igelfrau endlich mal ans Telefon geht. Sie ist bereits von der Dame vom Igelnotdienst informiert. Sie fragt sofort, ob der Igel im Stadtpark von einem Hund aus dem Winterschlaf geholt wurde, denn das würden die meisten Igel aus dem Stadtpark, die bei ihr landen. Bis vorhin dachte ich eigentlich, der Igel wäre nicht verletzt. Aber die kleine Blutspur auf dem Küchenpapier spricht eine andere Sprache. Ich sage, dass ich mir nicht sicher bin, weil da ein bisschen Blut ist.
„Dann kommen Sie mal her mit dem Igel.“

Bis eben hatten wir noch Hunger. Aber einstimmiger Beschluss: Jetzt fahren wir doch lieber vor dem Essen mit dem kleinen Patienten um die Häuser. 
Karton samt Igel geschnappt und los. 
„Der Igel fährt bei Flummi auf dem Schoß mit.“ ordne ich an und freue mich heimlich, dass es ausnahmsweise mal keine Diskussion bezüglich meiner Entscheidung gibt.
Mein Sohn hält den Karton vorsichtig umklammert und bittet darum, dass ich das Autoradio leiser stelle.
„Meinst du, dem Igel ist das zu laut?“ frage ich ihn.
„Nein. Aber mir!“
Also doch dem Igel, denke ich und drehe das Radio leise.

Es ist schon fast zwanzig Uhr, als wir bei der Igelfrau ankommen.
Oh! Eine Plattenbausiedlung!
Die lässt nicht unbedingt das vermuten, was wir suchen … aber finden. 
Wir klingeln und die Igelfrau öffnet uns die Tür einen Spalt weit, durch den wir gerade so in die Wohnung schlüpfen können. Mehr Platz ist nicht.

Hätte die Dame vom Igelnotdienst mich nicht vorgewarnt, hätten mich die Zustände Gegebenheiten in dieser Wohnung wahrscheinlich lang hinschlagen lassen. Obwohl … das wäre aus Platzmangel gar nicht gegangen.
Überall Kartons, in denen Pflege-Igel oder Papierstapel wohnen. Hinter den Igel-Kartons stehen Schränke und Regale auf deren freien Flächen Miniatur-Igel in allen Farben, Formen und Größen Platz finden. Dazwischen Wollmäuse aus Staub. An den Wänden Igel-Kalender und Igel-Bilder.
„Puh, Mama! Das stinkt hier aber …“ raunt mir meine Murmel ins Ohr. Ich nicke nur und flüstere: „Das sind hoffentlich nur die Igel.“

Die Igelfrau ist etwa Mitte sechzig, ziemlich rundlich und hat blondierte Haare, in denen vor kurzem noch Lockenwickler gesteckt haben müssen. Witzigerweise sind die Haare kompakt  zu einer Seite frisiert und stehen in Wellen vom Kopf ab. Mich erinnern sie stark an die Frisur einer Playmobilfigur und ich bin versucht, ihren Helm aus Haupthaar korrigierend um neunzig Grad zu drehen, kann mich aber gerade noch bremsen.

Nachdem die Igelfrau sicher ist, dass wir kurz vorher miteinander telefoniert haben und es sich um den Igel handelt, den sie erwartet, nimmt sie meinem Flummi den Karton ab, und fordert uns auf, ihr ins Badezimmer zu folgen. 
Das ist einfach. 
Mit einer halben Drehung um die eigene Achse tun wir ihr den Gefallen und stehen jetzt in Reihe in einen Türrahmen gequetscht. Wir sehen zu, wie sie auf dem Klodeckel Platz nimmt, ein Kissen auf ihrem Schoß platziert, ein Stück Küchenpapier darauf legt und sich unseren Igel mit geübter lederbeschuhter Hand zur Brust nimmt.  


„Igel stehen unter Naturschutz. Vor Mitte Mai können wir sie nicht wieder aussetzen. Vorher würden sie verhungern, weil sie da noch gar kein Futter finden. Es gibt eine Regel: Acht Tage, acht Grad … auch nachts, dann kann der Igel ausgewildert werden. Wusstet ihr, dass die Igel schon zu Zeiten der Dinosaurier gelebt haben?“ Fragt sie die Kinder, während sie mit einer Pinzette über den unteren Rücken des zusammengerollten Igels streicht und ihn so dazu bringt, sich wieder zu strecken. Jetzt ist zu sehen, dass unser Igel eine Igeline ist. Ihr Bauch nässt und die linke Pfote blutet etwas.

Die Igeline hat Bakterien auf der Haut und ist wahrscheinlich wach geworden, weil sie Schmerzen hat. Und als wäre das nicht genug, turnen überall Flöhe und Milben auf ihr herum. Wir lernen, dass diese aber allenfalls auf Hunde oder Katzen übergehen und keine Lust auf menschliches Blut haben. Ich kann also wieder aufhören, mich überall zu kratzen.

Ein flinker Griff in das Regal über der Igelfrau, das vor lauter Medikamenten und irgendwelchen Texturen aus allen Nähten platzt, fördert ein Insektizid in Puderform zu Tage, welches fix als Streifen auf dem Rücken der Igeline landet. Es vergeht keine halbe Minute und die Flöhe kippen völlig benebelt aus den Stacheln. Mit ihrer bereits zum Einsatz gekommenen Pinzette, sammelt sie die bekifften Tiere ein und versenkt sie in einem kleinen mit Alkohol gefüllten Glas. „Die Flöhe werden gesammelt und gehen nach Karlsruhe an Studenten. Es gibt ja heutzutage keine Flöhe mehr.“ werden wir informiert.
Aha.

Neben uns im Türrahmen klebt ein Badeplan für verschiedene Igel. Da wird wohl in Kürze auch unsere Igeline stehen. Medizinische Bäder im Kampf gegen ihre Infektion am Bauch. Entwurmt soll sie auch werden. Wenn die stachelige Dame dann wieder gesund ist … die Igelfrau blickt mich fragend an …
„Ja.“ sage ich. „Dann können wir die Igeline gerne wieder abholen und sie verbringt die restlichen Wochen bei uns.“ Die Igelfrau ist froh -immerhin ein Karton weniger- und meine Kinder glücklich.

In den Kartons um uns herum werden langsam die Igel mobil, wie wir hören dürfen. Und das Telefon klingelt jetzt pausenlos. Die Igelfrau wird bis morgen früh um acht mit ihren stacheligen Untermietern zu tun haben, bevor sie selbst erschöpft ins Bett sinkt.

Wir wissen unsere Igeline jedenfalls in den besten Händen und machen uns vom Hof. 

Foto: Ichnicht (immernoch  mit gesundem Abstand zum Stacheltier)

Fortsetzung gibt´s hier.

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