Sonntag, 29. Dezember 2019

Aus Versehen eine Katze geklaut

Es ist wieder mal Herbst geworden. Auch wenn ich mir den ganzen Sommer gewünscht hatte, es möge anders kommen, hat sich die Weide vor dem Haus am Wasser den Pony rauswachsen lassen, lässt ihn nun golden ins Wasser hängen, blickt hin und wieder verschmitzt durch die Zweige in meine Richtung und wartet auf die nahende Dämmerung ... 



Nun gut, mit gewissen Gegebenheiten muss man eben leben. Zum Beispiel auch damit, dass man jetzt die eigenen Augen täglich in der Dämmerung während der Autofahrt wieder ins Training schicken muss, bis sie sich an dieses Gewimmel an Lichtern gewöhnt haben und man es schafft sich nicht ständig schreckhaft hinter dem Lenkrad vor jedem Lichtkegel, in dem man sich wiederfindet, wegzuducken. Für Kinder ist das alles (noch) nicht wichtig. Die leben anders. Nämlich im Hier und Jetzt. Und im Malkurs. 

Es ist also wieder Zeit für eine Kinder-Taxi-Fahrt, damit die lieben Kleinen nicht in der aufkommenden Dunkelheit ... jaja, ich mache das ja auch gerne und es reduziert die eine oder andere Sorge. 

Ich sitze also mit dem Murmelkind und ihrer Freundin im Auto und lasse die beiden auf der Rückbank über die Schule und Weltgeschichte philosophieren. Unter anderem geht es um die schmelzenden Polkappen und mein Murmelkind bietet sich an, allen Eisbären, die aus diesem Grund ihr Zuhause verlieren, in ihrem Zimmer Unterschlupf zu gewähren. Ich weise auf die Essgewohnheiten der Eisbären hin und darauf, dass das mitunter ein Problem darstellen könne. Nein, kein Problem! Das Murmelkind ist fest davon überzeugt, die Eisbären zu Vegetariern zu erziehen. Einwurf von meiner Seite, dass es aber auch bei uns die eine oder andere Pflanze gibt. Nein, die würden eingezäunt. Okay, damit bin ich raus.

Da entdecke ich in der Straße unserer Zieladresse einen Laubhaufen mit einem flauschigen Katzentier, weiß wie ein Schneeball on top . 
"Guckt mal! Die gehört da doch -jede Wette- auf gar keinen Fall hin!"
"Oh, wie süß!"
"Wenn die da gleich auf dem Rückweg noch sitzt, sammle ich die ein!"
"Oh ja, und dann gehört sie uns und schläft in meinem Zimmer!"
"Natürlich! Und ich muss jede Nacht in Dein Zimmer und die Prügelei mit den Eisbären schlichten! Niemals!"

Die Mädels sind abgesetzt und ich auf dem Rückweg. Der weiße Fellhaufen sitzt immer noch mitten im Laub und ich beschließe meine Drohung wahr zu machen und ihn zu retten. Ich steige aus dem Auto, das notdürftig am Straßenrand parkt und schmettere  standesgemäß ein fröhliches "Miauuuu!" zur Begrüßung in Richtung Katze und siehe da, gut erzogen antwortet sie mir ebenso, erhebt sich und wankt freudig in meine Richtung. Na wenigstens ist sie kein ängstliches Wesen und mir bleibt eine etwaige Jagd durch Laub und  Dunkelheit erspart. Nach dem ersten Körperkontakt bin ich relativ fix dabei, sie in mein Auto zu bugsieren. Das findet sie jetzt schon ein wenig seltsam. Nach kurzer Schockstarre erkundet der Schneeball die temporäre Behausung und gibt Kommentare wie "Miaumiau!" und "Miaaa-uuu!" ab. Wie ich das zu werten habe, weiß ich nicht. Ich bin aber inzwischen eh damit beschäftig einen Parkplatz vor dem Tierarzt neben der Malschule der Kinder zu suchen.
Ob ich die Katze gleich mitnehme oder doch im Auto lasse? Ich beschließe das Risiko einzugehen, und den Stubentiger erstmal zu lassen wo er ist. 

"Guten Tag!" Die Arztpraxis ist leer und irgendwo ganz hinten höre ich Stimmen. Bin also guten Mutes, dass ich gleich jemanden zu Gesicht bekommen werde. Die Eingangstür geht auf und mir folgt eine Frau mit Hund, die kurz nach Erscheinen verzweifelt versucht, ihren Hund auf die Wage zu stellen. Der allerdings hat offenbar gar kein Interesse daran und wickelt sich samt Leine erstmal um Waage und Tresen. Als es endlich geschafft ist, Tier und Inventar wieder voneinander zu trennen, mustern mich Frau und Hund eingehend und suchten das mir zugehörige Tier. Ich zucke schuldbewusst die Schultern und murmele kurz den Sachverhalt. "Oh!" lautet die durchaus verständnisvolle Antwort. Ich zucke abermals mit den Schultern. Dann öffnet sich ein weiteres Mal die Tür und es folgt eine vierköpfige Familie mit zwei Kaninchen. Kurze Zeit darauf füllt sich das Wartezimmer noch mit einer Katze und einem Vogel. Viel Platz ist jetzt nicht mehr. Der Sauerstoff wird knapper, die Geräusche nehmen zu. Ich trete langsam nervös von einem Fuß auf den anderen und sehe im Geiste das weiße Fellknäuel wild und verzweifelt in die Autopolster urinieren. Bevor ich das Szenario in Farbe und Geruch zu Ende denken kann, erscheint endlich eine Frau im Kittel vorne am Tresen. Die "Oh!"-Frau nickt mir aufmunternd zu und ihr Hund schiebt mich mit der Schnauze in meiner Kniekehle noch dichter an den Tresen, als die Frage kommt: "Na ... wer ist denn jetzt zuerst dran?"

Ich beginne stockend zu erzählen, dass ich eine Katze am anderen Ende der Straße aufgelesen habe, die meiner Meinung nach eher in eine Wohnung und nicht auf einen Laubhaufen gehört und werde sofort von der Damen hinter dem Tresen unterbrochen: "Wie sieht die Katze aus?" Als ich mit "Weiß ..." antworte, kommt sie meinen weitere Ausführungen  zuvor und fragt: "Längeres Fell?" Ich bejahe und jetzt ist es an ihr die Schultern zu zucken, tief durchzuatmen und zu erklären, dass dieser Fellhaufen in der Nachbarschaft wohnt, und schon in nahezu jedem Wohnzimmer dieser Straße gesichtet wurde. "Oh!" ist es diesmal an mir. Ich bedanke mich kurz und stürze zum Auto. Das Urinier-Szenario in meinem Kopf ist nun ersetzt durch ein mittelalterliches kinderloses Paar, das vor der Haustür steht und abwechselnd verzweifelt nach der Katze ruft und miaut. Was habe ich bloß getan?

Das weiße Katzentier ist ziemlich glücklich, als ich ihr Gesellschaft in dem für sie neuen Metallkäfig leiste und legt sich gleich zutraulich auf Handbremse und Oberschenkel. Ich erkläre ihr kurz und wild gestikulierend die Situation, ernte verständnislose Blicke und bringe sie kurzerhand zurück zum Laubhaufen. Vom kinderlosen Paar ist Gottseidank noch keine Spur. Nur der weiße Fellhaufen ist etwas irritiert als ich ihn möglichst dekorativ im Laub drapiere.  Ich maunze einen Abschiedsgruß in ihre Richtung und suche das Weite. 

Als ich dem Murmelkind das Geschehnis berichte, leuchten ihre Augen und alles im Gesicht bei bei der Stelle, als die Katze im Auto sitzt und sofort kommt die Frage: "Wo ist sie?" Leider muss ich die Frage anders als gewünscht beantworten. Natürlich nicht ohne den Hinweis auf die Eisbären. Das tröstet etwas. Allerdings ertappe ich mich dabei, wie ich zum wiederholten Male über Haustiere nachdenke ... aber: NEIN!


Foto:  Ichnicht (ist ein wenig bemauzt ... also wegen der generellen Ablehnung von Haustieren meinerseits, wird seine Exklusivität aber irgendwann noch zu schätzen wissen)

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