Montag, 12. Mai 2014

Transitstrecke



Damals… also jetzt wieder ganz damals…
Meine Freundin Theresia aus der medizinischen Fachschule und ich sind gerne nach Berlin getrampt. Einfach nur so, für ein Wochenende. Sehen, was die Großstadt und wohin es uns so treibt. Für diese Zwecke gaben wir uns dann gegenseitig ein Alibi. Schließlich waren wir mit unseren siebzehn Jahren noch minderjährig und diese Wochenendbeschäftigung nicht unbedingt etwas, das Eltern für gewöhnlich tolerieren. Also Theresia war dann in der offiziellen Version am Wochenende wahlweise bei mir in Rostock und ich bei ihr in Wismar oder wir blieben ganz einfach im Internat.

Aus irgendeinem Grund waren wir an diesem Freitag tatsächlich bei Theresia in Wismar und machten uns am Samstag auf den Weg nach Berlin.
Falls sich jemand erinnert, die Transitstrecke aus dem Westen war genau das, was man benutzen musste, um von Wismar nach Berlin zu kommen.

Wir kamen relativ gut weg aus Wismar und dann passierte, was nun wirklich nicht passieren sollte: wir wurden an einer Raststätte mitten auf der Transitstrecke rausgesetzt, weil unsere Mitfahrgelegenheit die nächste Abfahrt runter musste. Mistkacka!
Hier wieder weg zu kommen bedeutete notwendiges Glück.
Na und? Der Tag war sonnig und warm, wir hatten keine Lust uns gleich wieder an die Straße zu stellen und den Daumen raus zu halten, also saßen wir eine Weile am Rand des Parkplatzes und sahen dem Kommen und Gehen zu.

Es dauerte aber nicht lange, da steuerte ein grün-weißer Wartburg auf uns zu. Aus stiegen zwei uniformierte grüne Männchen. Abermals Mistkacka!
„Guten Tag, Personenkontrolle. Bitte, Ihre Ausweise!“
(Anmerkung: In der DDR wurden Personen ab dem 14. Lebensjahr gesiezt, selbst in der Schule. Bescheuerte Macke des Ostens!)
Wir zogen unsere Personalausweise, wurden nach unserem Ziel, der Art und Weise dieses zu erreichen befragt, sogen uns Name, Verwandtschaftsgrad und Adresse aus den Fingern und ließen eine umfangreiche Belehrung über uns ergehen,die mit den  Worten schloss: „Aber nicht, dass Sie hier mit irgendwelchen Westwagen mitfahren! Das ist verboten!“
Und sie wussten genau: Auf dieser Autobahn fuhren fast nur Transitreisende, eben jene "Westwagen".

Alsbald darauf standen wir wieder am Straßenrand und das gestreifte Auto verließ die Raststätte. Wie vermutet, warteten wir eine ganze Weile, dann hielt endlich ein Auto, ein westdeutscher Mercedes mit dreifach indischer Besatzung.
Einsteigen oder nicht? Das war jetzt die Frage. Wir sahen uns suchend um, entschieden uns für ersteres und nahmen Platz im edlen Gefährt.

Die Inder waren sehr mitteilungsbedürftig und beklagten sich zuerst einmal über das Tempolimit auf der ostdeutschen Autobahn. Als wir allerdings unsere Story über unsere Begegnung auf der Raststätte zum Besten gaben, irritierte das den Fahrer dermaßen, dass er nur noch mit 80 km/h über die Straße kroch.
Einige Kilometer weiter erblickte er ein kleines grün-weißes Auto im Rückspiegel, aus dem mit einer Kelle das Anhalten gefordert wurde. Klar, wir blond und brünett sahen wirklich sehr indisch aus und fielen bestimmt nicht auf  zwischen den netten Herren mit Turban. Wir rutschten fast unter den Sitz.

Auf dem Standstreifen bröckelten wir einer nach dem anderen aus dem Auto. 
Jede Wette, die hatten, von ihren netten Kollegen informiert, bereits auf uns gewartet, .
Über eine Stunde hockten wir im Straßengraben. Ohne Ausweise.
Wenn das Papi wüsste!
Die Inder hatten üble… üblere… übelste Laune und sahen uns nicht einmal mehr an. Sicherlich wurden sie mit einem saftigen Bußgeld belegt.

Dann kam die Ansage von einem der kleinen grünen Männchen an uns: „Und SIE verlassen jetzt sofort die Autobahn!“
Hä??? Hatte der Typ Kartoffeln, die direkt vor uns auf dem Feld wuchsen inzwischen auch auf den Augen? Autobahn verlassen? Wie denn?
„Na zu Fuß!“
Tja… schöne Reise! Zu Fuß über einen Kartoffelacker. So hatten wir uns das vorgestellt.

Als wir endlich die nächste Straße erreichten, hatten wir nicht mal den Hauch einer Ahnung, wo wir uns befanden. Autos? Fuhr hier überhaupt jemand? Und falls ja? Welche Richtung? Wir standen vorsichtshalber dann mal auf beiden Seiten der Straße verteilt.
Endlich ein Auto in Sicht, besetzt mit einem Mann, der aussah als wäre er der, vor dem Mütter ihre Töchter immer warnten: tätowiert bis unter die Halskrause, Zigarette dampfend im Mundwinkel und grimmigster Blick. Das hatte damals definitiv weniger mit Mode zu tun, sondern war ein sicheres Zeichen für einen Knastaufenthalt. Und er war quasi stumm. Nicht sprechen wirkt in dieser Kombination auch nicht gerade vertrauenerweckend, stellte ich fest. Wir wählten den nächsten Bahnhof an dem wir vorbei kommen würden als Ziel und hopsten fröhlich und wider Erwarten in einem Stück aus dem Auto.  Von der Tramperei hatten wir für heute genug.

Die Zugfahrt dauerte ewig und riss ein anständiges Loch in unsere bescheidene Reisekasse.
Berlin erreichten wir in der Dunkelheit und die eigentliche Arbeit lag ja noch vor uns: das Organisieren eines kostenlosen Bettes für die Nacht.
Aber auch das würde uns gelingen. Wie immer.


2 Kommentare:

  1. wie das mit dem "kostenlosen Bett" von statten ging... das würde mich mal interessieren ;)

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  2. gibts vielleicht in einer Fortsetzung... :-)

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